Die Maschenprobe ist das Mittel der Wahl für Strickdesigner:innen, um sich die Arbeit zu erleichtern. Sie ist Spielwiese für die Kreativität und gleichzeitig eine Art Geheimwaffe, wenn es an die (leidigen) Berechnungen geht. Anhand einiger Beispiele möchte ich dir das erläutern. Auch, um dich für dein eigenes Stricken zu inspirieren.
Oft denken wir beim Designen an den Entwurf des Strickstücks. Allerdings ist das nur ein Teil der Arbeit – der erste Schritt. Muster müssen getestet sprich gestrickt werden, um deren optische Wirkung, Griff, Fall und Dehnbarkeit beurteilen zu können.
Maschenproben werden von den Profis auf vielerlei Art und Weise eingesetzt. Mit Profis sind Strickdesigner:innen gemeint, die für uns Handstrickerinnen Anleitungen schreiben. Und viele von ihnen nutzen Maschenproben an unterschiedlichen Stellen im Design-Prozess.
Darum geht es hier
Maschenprobe als Spielwiese für Strick-Ideen
Neue Strickgarne entstehen nicht im luftleeren Raum. Sie sind Trends unterworfen, ähnlich der Mode. Schon in der Entwicklung von Garnen werden die Strickdesigner:innen mit eingebunden, soweit es möglich ist.
Das Feedback über die Verstrickbarkeit ist wichtig, um das neue Garn zu optimieren. Ebenso reden die Kreativen bei der Festlegung von Farbpaletten mit.
Überhaupt lässt sich sehr viel über Garne erfahren, wenn sie verstrickt werden. Und zwar deutlich mehr als beim bloßen Streicheln der Garnknäuel.
Garnstruktur
Die Struktur eines Strickgarns beeinflusst stark, wie das fertig gestrickte Teil aussieht. Ist das Garn glatt oder haarig? Fluffig wird es mit einem glatten Garn wie Seide oder Leinen einfach nicht.
Aber es gibt auch Garne, bei denen der Fall nicht so klar ist. Da helfen kleine Strickmuster (auch Maschenprobe genannt), um die Optik in der Fläche beurteilen zu können.
Wie wirkt die Haarigkeit des Garns bei verschiedenen Strickmustern, z. Bsp. glatt rechts, Rippenmuster usw.? Die gestrickten Muster werden dazu miteinander verglichen und bewertet. Welches ist das Weichste oder Festeste oder Dehnbarste? Wirkt die Oberfläche so glatt oder haarig wie ich es erwartet habe und möchte?
Ebenso wird durch das Stricken von Mustern getestet, wie geeignet das Garn für sehr plastische Muster ist. Es gibt zwar Erfahrungswerte, dass Mehrfachgarne besser für Zopfmuster geeignet sind als Singles. Aber oft soll ja genau diese Grenze verschoben werden, um zu neuen, interessanten Effekten zu gelangen. Also auch hier steht praktisches Stricken vor theoretischem Garnwissen.
Nicht zu vergessen: die Nadelstärke. Meistens probieren Strickdesigner:innen aus, mit welcher Nadeldicke sich die beste Verstrickbarkeit und Optik ergeben. Da das (natürlich) von Hand zu Hand und Nadel zu Nadel verschieden ist, dient die Maschenprobe als Referenz.
Farben der Garne
Ähnlich wie die Struktur lassen sich auch die Farben am realistischten im Gestrick beurteilen und vergleichen.
Vielleicht kennst du das Phänomen, dass die Farbe im Knäuel anders ist als im Gestrick? Das liegt zum einen an der Lichtbrechung. Die ist nämlich anders bei den teilweise gebogenen Fadenstücke in der Strickfläche als bei parallel liegenden Fäden im Knäuel.
Eine weitere Rolle spielt das Strickmuster, dazu kommen wir noch.
Die realistische Darstellung von Farbe ist trotz moderne CAD Software immer noch schwierig. Darum probieren Designer:innen auch gerne Farbkombinationen in Strickmustern aus.
Das gilt für Ringel und Streifen, bei denen sich die Farben auch gegenseitig beeinflussen. Vielleicht kennst du das von den sogenannten Komplemetärkontrasten grün-rot, violett-gelb und orange-blau? Diese Farbkontraste sind so stark, dass sie sich gegenseitig zum Leuchten bringen.
Hierzu ein, wie ich finde, sehr passendes Zitat aus einer Lehrerfortbildung:
Starke Kontraste können bewusst als Stilmittel eingesetzt werden. Vielleicht schießen sie aber übers Ziel hinaus und sind visuell anstrengend. Am besten man (Designer:in, oder Hobbystrickerin) strickt ein paar kleine Muster, an denen man Ringel- und Streifenreihenfolgen testet.
Gleiches gilt auch für längere Farbfolgen, Farbmusterungen und Farbverläufe. Bevor man das in einem großen Strickteil umsetzt, wird im Kleinen getestet. Sind die Farbübergänge stimmig? Entsprechen sie der Wirkung, die man gerne haben möchte?
Manche Strickdesigner:innen möchten auch ein und dasselbe Design in verschiedenen Farbstellungen anbieten. Ob sich dann beispielsweise die Farbe rot durch blau und orange durch grün ersetzen lässt, ist leider keine feste Formel.
Da muss probiert und getestet werden, um die Gesamtwirkung des Designs zu erhalten. Ein schönes Beispiel dazu ist die CALEDONIA Stola von Christel Seyfarth in warmen und kühlen Farbstellungen.
Strickmuster
Ich hatte schon erwähnt, dass das Strickmuster die Farbwirkung und die Oberfläche beeinflusst. Im Grunde gibt es da auch keine linearen Zusammenhänge, sondern jeder Aspekt hat Auswirkungen auf die anderen.
Schon aus diesem Grunde muss weiter getestet und ausprobiert werden, z.Bsp.
- Wie wirken die Streifen in einem Patentstrick anstatt glatt rechts?
- Wie wirkt das Garn in Perlmuster anstatt glatt rechts?
- Welches Strickmuster für Garn X ergibt den Griff, den ich erzielen will?
- Welches der Garne X,Y und Z funktioniert am besten für dieses Muster?
- Ist das neue Garn für ein plastisches Zopfmuster geeignet?
Um nun verschiedene Varianten vergleichen und bewerten zu können, werden nicht nur wenige Reihen, sondern zumindest Handmuster (in etwa handgroße Muster) gestrickt. Man könnte auch Maschenprobe dazu sagen.
Bündchenmuster
Eine Sonderstellung nehmen Bündchenmuster ein, weil sie nicht nur hübsch aussehen müssen. Sie sollen das Strickprojekt in Form und an einer bestimmten Stelle am Körper halten. Wie etwa Socken- oder Ärmelbündchen, oder auch Ausschnittblenden.
Um Dehnbarkeit und vor allem Rücksprung zu testen, reichen im ersten Schritt kleine Muster in den typischen Rippenstrick-Varianten. Dabei lässt sich auch gleich ausprobieren, mit welchem Anschlag es am besten funktioniert.
Oft wird das Bündchenmuster gezielt dem Strickdesign angepasst. Dazu werden diese kleinen Muster begutachtet und verglichen. Was passt am besten zueinander?
Du siehst, Maschenproben können eine wirklich große Spielwiese sein. Und nicht nur das, sie enthalten wichtige technische Informationen, wenn es um die Umsetzung geht.
Und da kommt die „Geheimwaffe“ Maschenprobe ins Spiel. Sie unterstützt den Prozess von der Idee zur Strickanleitung und ist wie eine universelle Übersetzungshilfe.
Maschenprobe für technische Informationen
Es nützt die schönste Idee nichts, wenn sie sich nicht umsetzen lässt und Realität wird. Darum steht im Designprozess beim oder nach dem Stricken das Aufschreiben und ‚Übersetzen‘.
Verschiedene Konfektionsgrößen
Ob Strickdesigner:innen das alles selbst machen, oder Unterstützung haben, ist unterschiedlich. Oft gibt es sogenannte Teststrickerinnen, die das Modell in verschiedenen Größen nachstricken und ihr Feedback zurückgeben.
Wichtig ist dabei eine gemeinsame Basis, nämlich die einheitliche Maschen- und Reihenzahl pro 10 cm. Im Englischen heißt das „get gauge“ und das Ziel ist ganz exakt die angegebene Maschen- und Reihenzahl zu erreichen.
Diese Zahlen sind zudem die Grundlage für die Berechnungen der Größensätze (also z.Bsp. von Gr. 32-48). Da reicht es nicht, für die nächst-größere Größe ein paar Maschen mehr anzugeben. Alle Schnittteile müssen einzeln angepasst werden. Damit die Ärmel noch in die Armausschnitte passen und nicht zu lang sind. Oder Schulterbreite und Oberweite im richtigen Verhältnis stehen.
Garnverbrauch
Strickdesigner:innen arbeiten teilweise mit Garnproduzenten zusammen oder sind sogar dort angestellt. Da könnte man vermuten, es läge in ihrem Interesse, möglichst viel Wolle zu verkaufen.
Natürlich ist es besser, wenn man von seinen Produkten möglichst viel verkauft. Aber dafür sind zufriedene Kunden das A und O. Wenn man nun ständig zu große Garn-Mengen in Anleitungen angeben würde, wären Kund:innen alles andere als erfreut.
Allerdings wäre es auch ärgerlich, wenn man zu wenig Wolle für ein Projekt gekauft bzw. angegeben hat…ich mein ja nur.
Ebenso steht’s beim Thema Rückgabe ungebrauchter Knäuel. Es macht keinen Sinn, für Woll-Geschäfte und Hersteller, am Ende der Saison große Mengen von Einzelknäuel übrig zu haben. Und das nur, weil man den strickenden Kund:innen zuvor zu viel verkaufen wollte…
Der genauen Garnverbrauch lässt sich am genauesten bestimmen, in dem man das fertige Strickprojekt wiegt. Bis man aber an diesem Punkt ist, sollte es wenigstens eine grobe Vorgabe geben. Dabei hilft die Maschenprobe.
In der richtigen Dichte, mit einer relativ kleinen Anzahl von Maschen und Reihen ist sie eine prima Berechnungsgrundlage. Die Gesamt-Maschenzahl lässt sich schnell ausrechnen. Ebenso flott ist das Wiegen auf einer empfindlichen oder Diätwaage.
Und schon können sich Strickdesigner:innen daraus den ungefähren Garnbedarf errechnen: über die Maschenzahlen oder das Flächengewicht.
Strickmaschine
Auch wenn es hier ums Handstricken geht: nicht alle Strick-Designs werden mit Nadeln gestrickt. Streng genommen sind Strickmaschinen-Sachen auch handgestrickt, wenn der Schlitten der Strickmaschine von Hand geführt wird.
Ich hoffe, du fällst jetzt nicht vom Glauben ab.
Grund für den Einsatz einer Strickmaschine ist oft das größere Stricktempo. In kürzerer Zeit können viel mehr Varianten ausprobiert und getestet werden. Es gibt auch Strickdesigner:innen, die gerne die ‚langweiligen‘ glatt rechts gestrickten Bereiche mit der Maschine machen, den Rest dann mit Stricknadeln.
Aber:
Die Anleitung ist für dich als Handstrickerin gemacht. Darum muss es, bei aller Schnelligkeit, eine Vergleichsmöglichkeit geben. Die maschinen-gestrickten Muster müssen in Handstrick umgerechnet werden. Am einfachsten vergleichen kann man bei gleicher Größe, wobei 10 x 10 cm sehr beliebt sind (klingelt es da vielleicht bei dir?).
Maschenprobe aus betriebswirtschaftlicher Sicht
Einen Teilbereich, der für dich als Hobbystrickerin nicht so im Fokus steht, ist der betriebswirtschaftliche. Interessant finde ich ihn trotzdem, darum hier einige wichtige Aspekte.
Zeitbedarf
In einer idealen Welt haben wir alle Zeit für Kreativität, die wir brauchen. Leider ist das für Strickdesigner:innen, die damit ihre Brötchen verdienen, oft nicht so.
Da lauern Deadlines für neue Kollektionen oder Buch- und Zeitschriften Veröffentlichungen. Vielleicht auch „nur“ der Wunsch nach Einkünften aus dem regelmäßigen Verkauf immer neuer Anleitungen. Dabei wird der kreative Prozess zu einem Wettlauf von Zeit gegen Geld.
Es gilt zu bedenken
- Musterungen dauern länger, je größer die Muster sind!
- Muster sind aber nötig, um Ideen auszuprobieren!
- Minimale Rapportzahl (Wiederholungen) ist notwendig, um Muster beurteilen zu können, also nicht zu breit stricken!
- Wie groß muss das Muster für visuelle und haptische Bewertung sein?
Also, wie viel Zeit kann investiert werden ins Stricken der Muster? So wenig wie möglich, so viel wie nötig.
Materialverbrauch
Ähnlich steht es da beim Garn. Die Materialkosten erscheinen als großer Posten bei der Erstellung der Muster ganz weit oben auf der Liste. Außerdem sind in der Musterungsphase oft (noch) keine großen Mengen neuer Garnqualitäten vorhanden.
Schon dadurch begrenzt sich die Menge und Größe der Strickmuster: nur so groß wie unbedingt nötig! Oder anders gesagt: je kleiner, je besser. Wenn da also eine Maschenprobe als Muster reicht – perfekt!
Finanzieller Aspekt
In vielen Fällen steht ein Budget für die Musterung zur Verfügung. Ob es sich um ein paar Euro, hunderte oder tausende handelt, ist eine Frage der Firmengröße. Prinzipiell müssen aber alle entstehenden Kosten gedeckt sein, sonst tummelt man/frau sich nicht lange auf diesem Markt.
Mit dem Geld müssen allerdings nicht nur die Materialien gekauft werden. Auch jede geleistete Arbeitsstunde, die mit Muster Stricken verbracht wird, kostet. Und dabei ist es egal, ob Strickdesigner:innen angestellt oder selbstständig sind.
Also ist das Ziel immer:
Möglichst viele schöne und inspirierende Muster zu erzeugen und zwar in der kürzest möglichen Zeit. Und mit möglichst geringem Garnverbrauch. Dabei sollen sie aussagekräftig sein in Bezug auf:
- Optik und Griff
- Verstrickbarkeit
- Berechnungen für das Strickprojekt (Maschen- und Reihenzahlen)
- Garnbedarf
- Variationen wie Farben und Strickbindungen
Was nach der Quadratur des Kreises klingt, ist eigentlich nur eine Annäherung, der Versuch einer Optimierung. Der Aufwand von Zeit und Geld sollte sich generell in Grenzen halten.
Fazit
Um den kreativen Prozess einzuleiten, ist es schon ok, einfach „loszustricken“. Allerdings nur im kleinen Stil! Für Strickdesigner:innen dient die Maschenprobe als Testgelände und Spielwiese.
Die großen Musterteile entstehen am Schluss der Musterung. Erst, wenn klar ist, wie die Kombination von Garnstruktur, Farbe, Strickmuster und Nadelstärke zusammenpasst. Sonst würde dieser Prozess viel zu lange dauern.
Wenn du also in Zukunft die Maschenprobe wie Designer:innen nutzen willst, kannst du das in drei Bereichen besonders gut.
- Wenn du dich in ein neues, unbekanntes Garn ‚verliebt‘ hast. Mache Maschenproben zu deiner Spielwiese und probiere aus, was für Potenzial in diesem Garn schlummert.
- Wenn du nach einer Anleitung stricken möchtest, und dir unsicher bist, ob Garn, Nadelstärke und Strickmuster eine gute Einheit bilden. Das kannst du nämlich am besten anhand der Maschenprobe beurteilen.
- Wenn du angegebene Maschen- und Reihenzahlen einer Anleitung in deine eigenen gestrickten, tatsächlichen Werte umrechnest. Das ist gut investierte Zeit!
Fällt dir da noch ein anderer Aspekt ein? Dann schreib doch einen Kommentar! Ich bin gespannt darauf!
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