Ich wollte schon seit längerer Zeit einen Blogartikel über meinen persönlichen Weg und die Learnings zum Thema Maschenprobe schreiben. Zu Beginn meiner Strickerinnen-Laufbahn war ich nicht in der Lage, dieses wichtige Instrument für den Strickerfolg zu erkennen, geschweige denn anzuwenden.
Ich habe in verschiedenen Beiträgen bereits erwähnt, dass ich keine Großmutter oder Mutter hatte, die mir das Stricken beibringen konnte oder wollte. Vielmehr habe ich aus reinem Übermut als Teenager zu den Nadeln gegriffen, ohne zu ahnen, auf was ich mich da einließ.
Es waren eher schlechte Erfahrungen, die mich dazu brachten, jedes neue Projekt mit einer Maschenprobe zu starten. Vielleicht kannst du dir das ersparen, wenn du diesen Bericht gelesen hast.
Darum geht es hier
Privates Lernen
Nach dem bekannten Prinzip „Was man nicht selbst weiß, das muss man sich erklären“ ging ich die Sache an. Einige Unterstützung erhielt ich auch von den Damen meines damaligen LYS, einem Wollladen, der sich direkt auf meinem Schulweg befand.
Zuversichtlich ging ich mit der dort gekauften Wolle und Nadeln zu Hause sofort daran, die ersten Strickmodelle zu starten. Natürlich mit Anleitung, wie sie vor allem in Frauenzeitschriften damals sehr „in“ war.
In der Zeit, Anfang der 80er Jahre, waren oversized Pullover mit gerade eingesetzten Ärmeln voll im Trend. Wie weit dann „zu weit“ wäre, war seinerzeit eine rein persönliche Definitionsfrage. Aber mehr war definitiv besser.
Ich strickte meist nicht allein vor mich hin, sondern gemeinsam mit einer Freundin. Wir strickten oft das gleiche Modell, in derselben Wolle und Farbe. Manchmal strickten wir sogar um die Wette.
Trotzdem fiel uns nicht wirklich auf, dass wir unterschiedliche Resultate bekamen. Nicht nur andere Maschen- und Reihenzahlen, sondern auch ein anderes Strickbild. Obwohl wir es direkt vor der Nase hatten.
Leider trafen dann auch die gut gemeinten, gegenseitigen Ratschläge und Tipps oft nicht ins Schwarze.
Ich erinnere mich an einen Pullover im Schachbrettmuster, bei dem wir beide lange probieren mussten, bis die Kästchen quadratisch und nicht rechteckig aussahen. Meine Reihenzahl passte dabei für die Freundin leider nicht.
Und ja, es funktionierte so einiges nicht. Ich gebe es zu, als Schülerin mit begrenztem Geld- aber ausreichendem Zeit-Budget war das Aufribbeln und neu stricken nicht immer eine Strafe. Sondern eine Chance, die hohen Ansprüche an mein Strickprojekt zu erreichen. Wenn nicht im ersten, dann eben im zweiten oder dritten Anlauf.
Was ich leider nicht tat:
Vor dem „Rückwärtsstricken“ die Maschen- und Reihendichte auszuzählen. Groß genug war das Stück ja und ein komplettes Vorder- oder Rückenteil hätte sicher eine gute Repräsentation meiner persönlichen Strickdichte ergeben.
Was ich damals auch gerne schon gewusst hätte:
Eine Maschenprobe ist auch dann nötig und gut investierte Zeit, wenn man die exakte Wolle und Nadelstärke der Anleitung verwendet. (Da hätten wir eigentlich von selbst draufkommen können.)
Und dass es nicht reicht, im Laufe der ersten 20 cm des Rückenteils die Maschen- und Reihen auf 10 cm kurz abzuzählen. Das Strickzeug auf dem Schoß liegend, ein Maßband oder Lineal aufzulegen und ohne Markierung zu zählen. Und dabei noch halbe Maschen oder Reihen geflissentlich zu ignorieren.
Auch bin ich immer wieder bei dem Versuch gescheitert, meinen Strickstil an die Anleitung anzupassen. Egal, wie fest ich den Faden bremste (ich stricke eher locker). Ich konnte ich dadurch nie die vorgegebene Maschen- und Reihenzahl erreichen.
Dass dadurch die einzelnen Strick-Teile größer und weiter wurden, fiel mir nicht weiter auf. Wie gesagt, der Stil der Mode machte es einem da sehr einfach. Wie man seinen Strickstil anpassen könnte, sprich „maßhaltig“ zu stricken, lernte ich dabei leider nicht.
Berufliche Erfahrungen
Während meiner Ausbildung und später im Textil-Studium lernte ich dann mehr über die handwerklichen und industriellen Textilherstellung. In der Textil- und Bekleidungsproduktion wird viel mit Mustern und Prototypen gearbeitet.
In den Betrieben gibt es Musterungsabteilungen, die Mini-Muster-Webstühle oder Muster-Strickmaschinen enthalten. Ein neues Design wird hier getestet oder besser gesagt, gemustert. Wie sieht das Muster in natura aus, im Vergleich zum Entwurf, der Zeichnung oder Skizze, die auf Papier oder am Computer gemacht wurde.
In dieser Ausprobier-Phase wird geschaut, wie die Produktion dieses Stoffes, Gewebes oder Gestricks funktionieren könnte. Hat man die Maschinen, wie wäre deren Auslastung, wie lange dauert es, die entsprechenden Einstellungen zu machen?
Sind diese Punke abgeklärt, überlegt man die optimale Reihenfolge der einzelnen Arbeitsschritte. Anschließend wird die Zeit für jeden Arbeitsschritt mit Hilfe einer Stoppuhr oder eines anderen Zeitmessgerätes ermittelt. Das Ganze ist recht komplex.
Und auch wenn mein Fokus auf der Erzeugung textiler Flächen lag, habe ich im späteren Berufsleben gesehen, dass es gerade so weitergeht.
Egal, ob in der Druckerei und Färberei: auch hier wird ausprobiert, experimentiert und getestet, bevor der Stoff gefärbt oder bedruckt wird.
Bei der Bekleidungsherstellung werden Modelle in Standardgrößen genäht, mit allen Details, die dann an echten Models auf gute Passform geprüft werden.
Warum beschreibe ich das so ausführlich?
Damit du eine Vorstellung davon hast, wie viel Zeit, Energie und Ressourcen für die Herstellung eines Meters Stoffs oder eines ganzen Kleidungsstücks benötigt werden. Ich hoffe, du verstehst, dass Ausprobieren und Testen ein wichtiger Schritt vor der Produktion ist.
Klar, dass du diesen Aufwand bei deinem Strickhobby nicht betreibst!
Im Normalfall strickst du ein bestimmtes Strickprojekt einmal oder einige wenige Male. Im Grunde erstellst du also einen Prototyp. Es ist eine einmalige Kombination aus Garn, Anleitung und deinem ganz persönlichen Strickstil.
Und so sollten wir eine Strick-Anleitung auch verstehen.
Eine Anleitung hilft dir, deinen Prototyp zu erstellen. Der kann so ähnlich aussehen, wie die Anleitung-Fotos es zeigen. Allerdings wurde da ein Modell fotografiert, dass von einer anderen Person (und nicht dir!) gestrickt wurde.
Die Größe des Strickprojektes wird den Maß-Angaben entsprechen, falls du das gleiche Garn verwendest und falls du die exakte Maschen- und Reihenzahlen erreichst. Ob du das kannst oder willst, darauf kann die Anleitung nicht eingehen.
Jede Anleitung sollte man daher nur als Abarbeitungs-Vorschlag sehen, also wie man es machen kann.
Bitte beachte, dass eine Schnittskizze dir etwas über die Maße des fertigen Teils sagt. Du musst selbst entscheiden, ob die Passform für deinen Körper geeignet ist.
Leider gibt es keine „Geling-Garantie“. Vor allem nicht, wenn wir in großen Teilen von den Vorschlägen abweichen, z. Bsp. ein (ganz) anderes Garn oder Nadelstärke verwenden oder wenn wir uns eine Maschenprobe „ersparen“.
Heute mache ich es so
Zugegeben, wir leben heute mit einem massiven Überangebot an Anleitungen, die wir stricken könnten. Der Zugang zu tausenden Anleitungen entweder online oder über Zeitschriften und Bücher ist fast jederzeit möglich.
Und weil es diese Masse an Variationen gibt, solltest du das Testen und Ausprobieren in deinen Strick-Prozess einbinden. Es ist praktisch unmöglich, aus dem Stand alle Aspekte genau hinzubekommen.
Darum habe ich mir die folgende Vorgehensweise angewöhnt:
1. Garn
Ich kläre meist zuerst die „Garnfrage“. Also, ob ich das vorgeschlagene Garn bekommen kann oder es nutzen möchte. Oder was ein geeigneter Ersatz sein kann. Dazu halte ich mich weitestgehend an die Zusammensetzung und Lauflänge, wenn möglich, auch an die Garnstruktur.
Mit Garnstruktur meine ich die Art, wie ein Garn erzeugt wird. Ist es ein Einfachgarn oder ein Zwirn? Sieht der Faden aus wie eine feine Häkelkette? Kann man einzelne abstehende Fäden erkennen? Das hat alles Einfluss darauf, wie das Gestrick aussieht oder wie ein Zopf- oder Lacemuster wirkt.
Es ist ein Riesenunterschied, ob du mit einem fest gedrehten 3-fach-Zwirn strickst oder mit einem locker gedrehten Dochtgarn, das dir unter den Händen schnell zerfasert. Auch wenn beide die gleiche Zusammensetzung und Lauflänge haben.
Gerne nutze ich diese praktische Hilfestellung, die Website von Yarnsub.com.
Bin ich an diesem Punkt nicht erfolgreich, liegt die Anleitung erst mal auf Eis.
2. Nadeln
Welche Nadel ich verwende, entscheide ich nicht aus dem Bauch heraus. Das teste ich bei der Maschenprobe.
Und zwar sowohl die Nadelstärke als auch das Nadelmaterial. Ist das Garn sehr rau, verwende ich glatte Metallnadeln. Bei sehr flutschigen Garnen bevorzuge ich stumpfere Oberflächen, wie sie Holz- oder Bambusnadeln haben.
Beim Probestricken lasse ich mich vom Gefühl leiten, mit welcher Nadel ich am liebsten dieses spezielle Garn verstricke. Manchmal überrasche ich mich dabei selbst.
3. Muster
Sollte das Strickprojekt ein Muster enthalten, probiere ich das bei der Maschenprobe aus. Falls nötig auch mit verschiedenen Nadeln, denn wie wir wissen, geht Probieren über Studieren.
Allerdings wird auf jeden Fall ein Teil der Maschenprobe glatt rechts gestrickt, als Referenz (auch für später). Von der Größe her sollte sie mindestens 12 × 12 cm ohne Randbereiche sein, um sie gut ausmessen zu können.
Außerdem erkennt man, wie die Farbe wirkt, denn das ist oft anders als im Knäuel. Und ob die Oberfläche offen oder dicht wird. Sogar eventuelle Probleme mit dem Garn lassen sich vorahnen, wie flusig zu sein oder sich antistatisch aufzuladen.
Fazit
Die wichtigste Änderung im Vergleich zu früher sind aber nicht meine textilen Erfahrungen. Sondern die Einsicht und Erkenntnis, dass eine Maschenprobe kein „Muss“, sondern ein „Darf“ ist.
Kein Fall von, „das muss ich jetzt noch machen, bevor ich anfangen darf zu stricken“. Sondern ein „ich darf jetzt mit Garn und Nadeln strickend experimentieren und meine ideale Kombination entdecken“.
Und bevor ich meinen eigenen Prototypen stricke, habe ich schon eine gute Vorstellung davon, wie sich Garn und Nadeln verhalten. Und inwieweit ich die Anleitung verwenden kann oder anpassen muss.
Falls ich unsicher bin, ob das Gestrick zu weich oder fest ist, mache ich noch einen zusätzlichen Test. Den sogenannten Drape- oder Fall-Test. Beschrieben habe ich ihn in meinem Maschenprobe-Kurs. Hier ein kurzes Video dazu.
DIES IST EINER DER BLOGARTIKEL IN DER KATEGORIE „MASCHENPROBE“
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Sibylle meint
Ich stricke heute auch immer eine Mapro, hab ich früher nicht gemacht!
Dann wird gewaschen und nochmal gemessen, der Unterschied ist manchmal schon 1-2 Maschen.
Ist es bei 100% Merinowolle sinnvoll eine Größe kleiner zu stricken? Angeblich wächst die Wolle nach dem Waschen und tragen noch sehr?
Liebe Grüße und ein schönes Osterfest Sibylle
Beatrix meint
Liebe Sibylle, leider gibt es keine Regel, wie eine 100% Merinowolle sich verhält. Wenn sie tendenziell ausleiert, könnte das an der Garnart (Einfachgarn, Zwirn, Kettengarn) liegen, am persönlichen Strickstil oder auch am Muster. Was generell ausleiert, ist superwash behandelte Wolle, weil sie durch diese Behandlung glatter ist. Grzndsätzlich sollte man die Maschenprobe ja auch nach dem Waschen messen, um die Werte für Reihen und Maschen zu ermitteln. Waschen immer so, wie du es für das fertige Teil planst, ggf. dann also auch in der Waschmaschine. Liebe Grüße zurück von Beatrix