Ich muss immer wieder schmunzeln, wenn ich Strickerinnen zuhöre – bei den Rechtfertigungen, warum sie keine Maschenprobe (zu) machen (brauchen). Und ja, es ist manchmal vollkommen in Ordnung, sich diese Arbeit und den Aufwand zu sparen.
In etlichen Fällen sind die häufigsten Argumente, die Maschenprobe zu vermeiden zwar sehr beliebt, aber nichts weiter als Ausreden. Und leider sogar solche, mit denen man sich selbst mehr schadet als nutzt. Vor allem, wenn der kurzfristige, vermeintliche Gewinn (sei es nun Zeit, Material oder Lust) teuer erkauft wird.
Hier kommen die 5 Argumente gegen das Stricken der Maschenprobe, die mir am häufigsten begegnen. Und ich möchte dir zeigen, warum du dir einen großen Gefallen tust, wenn du sie nicht verwendest.
Denn, unterm Strich, ist doch Zeit deine kostbarste und unersetzlichste Ressource und nicht ein Strickgarn, möge es noch so edel und exklusiv sein!
Darum geht es hier
1. „Ich will schnell starten“
In diese Situation kann ich mich gut hineinversetzen. Die neue Anleitung und das frische Garn liegen vor einem und betteln einen förmlich an, sich in die Arbeit zu stürzen.
Egal, ob wir den Ruf der Vorfreude oder der Ungeduld zu diesem Zeitpunkt hören. Oder beides. Es juckt uns einfach in den Fingern, möglichst schnell mit dem Strickprojekt loszulegen.
Vielleicht ist es aber auch Druck von außen:
Ein Fest steht bevor, zu dem man das neue Tuch lässig um die Schultern tragen möchte. Das Baby der Nachbarin kommt – auch wenn die Babyschühchen nicht rechtzeitig fertig gestrickt werden. Oder der Urlaub steht bevor, für den man die schicke Sommerjacke noch unbedingt braucht.
Dies hier könnte ohne Probleme eine sehr lange Liste von Gründen werden, aber darum geht es nicht. Worauf ich hinaus möchte: die Zeiteinschätzung.
Einerseits schätzen wir die Zeit als zu lang ein, die wir dafür brauchen, eine zuverlässige Maschenprobe zu stricken. Andererseits unterschätzen wir oft, wie viel Zeit wir für das eigentliche Strickprojekt benötigen.
Dieser Widerspruch macht es doppelt sinnvoll, eine Maschenprobe zu machen. Denn
- Sie ist schneller gemacht, als die meisten vermuten.
- Sie erspart es dir, erst viel zu spät, nämlich nach viele Stunden Strickarbeit festzustellen, dass etwas nicht passt oder funktioniert.
Das bedeutet, wenn du die Maschenprobe als Teil des Strickens (für) dieses Strickprojekt siehst, kommst du sogar noch schneller an den Start. Denn diese paar Maschen zu stricken ist definitiv schnell!
2. „Am zeiteffizientesten ist es, wenn ich das bereits angefangene Strickteil messe“
Dieser Grund taucht erstaunlich oft auf. Wenn du in die Kategorie „Glücksspieler“ gehörst, passt diese Methode. Die Wahrscheinlichkeit, dass du die geforderte Maschen- und Reihenzahl auf Anhieb erreichst, ist wesentlich geringer als die Wahrscheinlichkeit, dass du sie genau erreichst.
Als Ausnahme lasse ich gelten, wenn du schon mehrere ähnliche Modelle aus dem (nahezu) gleichen Garn gestrickt hast. Wie zum Beispiel bei Socken, die sowohl beim Garn als auch den Maschenzahlen ziemlich standardisiert sind.
Nur leider ist das bei vielen anderen Modellen nicht so. Wenn du meinst, dass du die richtige Nadelstärke und das Originalgarn (wie in der Anleitung angegeben) der Garant dafür sind, dass die Maschen- und Reihendichte stimmen werden, muss ich dich enttäuschen. Sorry.
Ob du mit deinem Strickstil und deinen Lieblingsnadeln diese Vorgabe genau erreichst, ist wirklich ein Glücksspiel. Denn die Frage ist ja, was es bedeutet, die Werte nicht zu erreichen. Antwort: Zurück stricken, Aufribbeln, noch mal neu stricken.
Und schwupp, ist die schöne Zeiteffizienz dahin.
Ganz unangenehm kann es werden, wenn du ein Garn verwendest, dass Aufribbeln nicht mag. Wie Mohair, Tweed oder generell Garne, die sich stark kräuseln oder sehr viele abstehende Fasern haben.
Wird bei denen die Garnoberfläche durch Auftrennen beschädigt, wirst du das nachher im gestrickten Teil sehen – an der Stelle, wo du mit „jungfräulichem“ Garn weiterstrickst. Du könntest also mehr Probleme schaffen, als dir lieb sind.
Noch ein anderer Faktor, der komplett übersprungen und vergessen wird. Wie sich das Gestrick durch und nach einer Wäsche verändert! Denn was nützt dir die Info zur Maschendichte, wenn sie im fertigen Teil im Laufe der Zeit ganz anders wird?
Also, eine Maschenprobe sollte immer genau so gewaschen werden, wie du das für diesen Pullover, Jacke usw. planst. Als guter Anhaltspunkt kann dir die Pflegeanweisung der Banderole dienen.
Und darum an dieser Stelle die Überlegung: ist es praktikabel, schnell oder zweckmäßig, z. Bsp. ein halbes Vorderteil oder Ärmel zu waschen? Oder doch lieber die Maschenprobe? Ich denke fast, dass du die Antwort darauf kennst.
3. „Maschenprobe muss meine Kristallkugel sein …“
Den Teil des Satzes, den ich weggelassen habe: „… sonst lass’ ich es bleiben.“
Erstaunlich oft wird dieses vermeintliche Argument vorgebracht. Ich wäre selbst gar nicht auf diese raffinierte Idee gekommen.
Man stellt unrealistisch hohe Ansprüche an die Maschenprobe, wie:
- Maschendichte muss zu 100 % genau so sein wie im eigentlichen Strickprojekt
- Ebenso muss das nach der Wäsche zutreffen
- Ein plastisches Muster in der Maschenprobe muss genau gleich sein, wie im Strickprojekt (Breite wird auf den Millimeter genau ermittelt)
- Aushängen bzw. Längung muss schon in der Maschenprobe zu erkennen sein
Und als Konsequenz wird anschließend überhaupt keine Maschenprobe mehr gemacht, da man diese hohen Ansprüche nicht erfüllt sieht. Schade eigentlich.
Denn es ist bei Textilien oft so, dass sich ein kleines Muster anders verhält als das große Komplettmodell.
Ein Beispiel aus meiner beruflichen Praxis. Wir bekamen einen Anruf aus einem Produktionsbetrieb, weil ein Bettbezugsstoff nach der festgelegten Prüfung zu viel Einlauf hatte. Erlaubt waren ca. 1,5 %, das Stoffmuster (25 x 25 cm) hatte ca. 2,8 %.
Die Bettbezüge wurden in englischen Größen gemacht, die größte heißt King und so ein Bettbezug ist 230 cm x 220 cm. Sollten die Einlaufwerte stimmen, würde das gute Stück nach der Wäsche 6,5 cm schmaler und 6 cm kürzer sein. Das wäre problematisch.
Als Test wuschen wir einen dieser großen Bettbezüge in der gleichen Waschmaschine, gleiches Programm, gleiches Waschmittel.
Siehe da: der Bezug schrumpfte nicht nur weniger, er wurde tatsächlich etwas größer. Weil er durch das Eigengewicht daran gehindert wurde, so viel einzulaufen wie das Muster.
Ähnlich ist es bei der Maschenprobe.
Es ist unrealistisch, von dem kleinen Muster in allen Belangen auf das viel größere und schwerere fertige Teil zu schließen. Gerade was das Ausleiern und Aushängen anbetrifft, kann die Maschenprobe dir im besten Fall einen Hinweis liefern. Aber keine absolut genauen Messwerte.
Wenn du ein Garn „im Verdacht“ hast, sich auszuhängen (wie z. Bsp. Baumwolle oder Leinen), dann hänge beim Trocknen Gewichte an die Maschenprobe. Dann misst du die Werte gleich nach dem Abnehmen und anschließend noch einmal nach 24 Stunden.
Bleiben die Werte gleich, hat sich das Gestrick dauerhaft gelängt. Andernfalls handelt es sich um eine elastische Dehnung, die sich wieder zurückbildet, wenn das Teil nicht getragen wird.
Bitte bedenke auch Folgendes:
Es macht einen Unterschied, ob ein plastisches Muster wie ein Zopfmuster einzeln oder in Massen im fertigen Teil vorkommt. Effekte wie das Zusammenziehen des Gestricks machen sich anders bemerkbar, wenn viele Zöpfe dicht nebeneinander liegen, als wenn wenige Zöpfe mit viel Glatt rechts dazwischen gestrickt werden.
Das kannst du unmöglich alles in einem 10 x 10 cm großen Muster simulieren. Dazu muss dann entsprechend großzügiges Muster gestrickt werden. Darum wehre ich mich auch, dass man immer von dieser Standardgröße (10 x 10 cm) für die Maschenprobe spricht.
Wichtiger ist es doch, dass sie dir die Informationen gibt, die du benötigst, oder? Wenn sie dafür größer sein muss, ist das auch ok.
4. „Garngeiz ist (nicht) geil“
Die Sorge kann ich nachvollziehen, dass das Garn nicht für das Projekt ausreicht. Vor allem kritisch, wenn man aus dem Stash (Garnvorrat) arbeitet und sich dann eine passende Anleitung suchen muss.
Allerdings gibt es eine gute Methode, den Garnbedarf zu ermitteln. Nämlich die Maschenprobe nicht nur auszuzählen, sondern zu wiegen. Über Gewicht und Lauflänge kannst du ganz genau ausrechnen, wie viel Garn in der Maschenprobe enthalten sind.
Ein Beispiel:
Das Garn X hat eine Lauflänge von 120 m auf 50 gr.
Die Maschenprobe hatte 20 M auf 10 cm, gestrickt wurden 28 M. Außerdem hat sie 28 R auf 10 cm, das Muster war allerdings 15 cm lang.
Gesamtzahl Reihen (Länge) 28 R × 1,5 = 42 R
Gesamtzahl Maschen (Breite) 28 M
Insgesamt gestrickt wurden 42 R × 28 M = 1176 M
Diese Anzahl von Maschen wiegt Y Gramm (biete auf genauer Digitalwaage wiegen). Aus dem Gewicht lässt die verbrauchte Garnlänge errechnen.
Probe wiegt 5 gr. = 12 m Garn verbraucht
Anschließend kannst du den Gesamt-Garnbedarf genau ausrechnen. Maschen- und Reihenzahlen für sämtliche Einzelteile lassen sich nämlich aus der Anleitung ableiten.
Wie du siehst, brauchst du die Maschenprobe für diese Berechnung. Es macht wenig Sinn, an dieser Stelle mit dem Garn zu geizen.
Wenn du trotzdem Sorge hast, dass dir das Garn vor Ende knapp werden könnte, denke an dies. Die Maschenprobe kann ja, nachdem du alles Wissenswerte ermittelt und aufgeschrieben (!) hast, als Garnreserve dienen.
Ich würde sie nicht aufbewahren, wenn ich deshalb das Projekt nicht beenden kann – sondern sie aufmachen und fürs Halsbündchen oder die letzten paar Reihen verwenden. Mehr ist nämlich an Garn gar nicht drin, in der Maschenprobe.
Noch ein Tipp:
Falls du Wolle für eine bestimmte Anleitung bestellst, ist der angegebene Garnbedarf für die Maschenprobe meist berücksichtigt. Es sind 2-3 % zusätzlich. Wenn du ganz sichergehen möchtest, solltest du ein Knäuel zusätzlich bestellen (oder plus 10 % rechnen).
Aus meiner Erfahrung bleibt öfter Garn übrig, als dass es zu wenig ist. Darum frag dich: lieber Maschenprobe nutzen oder Restekiste füllen?
5. „Maschenprobe hemmt den kreativen Flow“
Wenn man sich vom Strick-Ergebnis überraschen lassen möchte, wäre eine Maschenprobe schlecht. So, als wenn man beim Lesen eines Krimis zuerst das letzte Kapitel liest. Aber Stricken sollte eigentlich nicht den gleichen Nervenkitzel hervorrufen wie eine Geschichte von Mord und Totschlag.
Und ja, wenn Passform kein Thema ist, dann verzichte ich auch darauf. Aber dann ist das Repertoire doch sehr eingeschränkt und beinhaltet kaum mehr als Schals und Tücher. Denn sogar Kissenbezüge, Mützen und Handschuhe sollten gut passen, oder?
Es wird gerne angeführt, dass durch so etwas Langweiliges wie eine Maschenprobe der kreative Flow gehemmt wird. Feste Vorgaben wie Größe und Musterung stören und verhindern, das Garn beim richtigen Stricken zu erfahren und kennenzulernen.
Jein.
Denn an welcher Stelle ist das Stricken einer Maschenprobe unkreativ? Doch wohl eher im Gegenteil. Sie ist ja genau dafür gedacht, dass man das Garn kennenlernt. Und zwar in Kombination mit verschiedenen Nadeln und Nadelstärken.
Ob du tatsächlich ein 10 x 10 cm Quadrat stricken musst, ist dabei kein Muss, sondern lediglich eine Vereinheitlichung. An die musst du dich jedoch nicht zwangsläufig halten. Hauptsache, du kannst am Ende Maschen und Reihen über eine Mindestgröße von 10 x 10 cm ausmessen.
Zusätzlich zur meist glatt rechts gestrickten Referenzangabe kann gerne auch schon im richtigen Muster (wo angegeben) gestrickt werden. Oder meinetwegen auch in anderen Musterungen, wenn dich das reizt. Why not!
Am effektivsten ist es, diese Einstellung „Maschenprobe = Kreativitätskiller“ wirklich mal zu hinterfragen. Man könnte die Maschenprobe als Strickexperiment bezeichnen. Oder sich vergegenwärtigen, dass viele kreative Strickdesigner sie als Spielwiese für die Entwicklung ihrer Ideen nutzen, kurz: es geht nicht ohne sie.
Ganz sicher kann man die Frage zu stellen, was aus der Freude am kreativen Flow wird, wenn man das ganze Projekt wieder aufmachen oder weglegen muss, weil es nicht passt. Und wie viel Lust es macht, Zeit darauf zu verwenden,
immer wieder erfolglos das Gleiche zu stricken. Nur, um die Hände beschäftigt zu halten!?
Fazit
Es ist absolut sinnvoll, zu wissen, wann und wofür man eine Maschenprobe braucht. Dann erspart man sich vermeintliche Argumente dagegen, die eigentlich nur Ausreden sind. Ich habe dir gezeigt, dass du sogar mit Garnknappheit fertig werden kannst.
Eine gut gemachte Maschenprobe hilft dabei, viele nachträglich nötige Änderungen zu vermeiden. Dadurch erreicht man die wahre Zeitersparnis – nicht durch das Nicht-Stricken der Maschenprobe.
Frage dich mal selbstkritisch:
Sind die Nachteile, die man sich einhandelt, gerechtfertigt durch die angeblichen Vorteile, wenn man keine Maschenprobe macht?
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